Zwischen willkommenen Arbeitskräften und Arbeitszwang. Vertriebene im Nachkriegsdeutschland

In scheinbar nicht enden wollenden Flüchtlingstrecks strandeten in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit Vertriebene aus den sogenannten „deutschen Ostgebieten“ auf dem Boden der späteren DDR und BRD.[1] Bis 1950 hatten in beiden deutschen Staaten insgesamt ca. 12 Mio. Flüchtlinge gezwungener Maßen eine neue Heimat gefunden.[2]

In einem vom Krieg gezeichneten Land, in dem nicht nur viele Städte zerstört und viele Menschen obdachlos waren, sondern sich auch die Verwaltungsapparate im Umbruch befanden, wurden die geflüchteten Menschen nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Gleichwohl rückten die Flüchtlinge schnell ins Blickfeld der sich konsolidierenden Arbeitsämter. Denn diese waren damit betraut worden aus den Vertriebenen Facharbeiter der Mangelberufe herauszulesen und in Arbeit zu vermitteln – so waren beispielsweise gelernte Bauhandwerker gefragte Arbeitskräfte, da sie für den Wiederaufbau gebraucht wurden.[3]

Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille: Denn für Hamburg ist belegt, dass diejenigen Flüchtlinge, die von öffentlichen Fürsorgemitteln lebten und in Flüchtlingslagern untergebracht waren, zur Pflichtarbeit herangezogen wurden. Und auch für alle anderen Flüchtlinge war das Aufenthaltsrecht in der Stadt an einen festen Arbeitsplatz gebunden.[4] Wie ein aus Hamburg stammendes zeitgenössisches Zitat belegt, hatten die in Hamburg lebenden Vertriebenen keine Wahl, ob und welche Arbeiten sie ausübten:

„Die Beschäftigung in Mangelberufen führt praktisch zu einem Zwangsarbeitsverhältnis, welches zwar nicht von der Exekutive ausgesprochen wird, aber nicht minder die persönliche Freiheit bedroht. Als warnendes Menetekel steht nämlich hinter dem Flüchtling immer der Weg auf die Landstraße. Dieses Menetekel läßt den vertriebenen Musiker, den Angestellten und ehemaligen Beamten die Tätigkeit des Bauhilfsarbeiters ergreifen, läßt die vertriebene Kunstgewerblerin die Arbeit in der Fischindustrie aufnehmen. Die praktische Zwangseinweisung in eine berufsfremde Tätigkeit zeigt eindeutig, daß der Flüchtling nicht nur auf seine Heimat verzichten muß, sondern auch aus dem Berufsleben vertrieben worden ist.“[5]

Nicht nur in Hamburg wurden die Flüchtlinge aus ihren angestammten Berufen herausgedrängt. Schließlich fiel die öffentliche Unterstützung für Vertriebene insgesamt gering aus, sodass sie auf eine Arbeitsstelle angewiesen waren, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.[6] Allzu viel Auswahl bei der Stellensuche dürften sie dabei jedoch nicht gehabt haben. Denn Vertriebene wurden nur dann als willkommene Arbeitskräfte betrachtet, wenn mit ihnen der Facharbeitermangel ausgeglichen werden konnte. Ein Großteil der Vertriebenen waren jedoch Kinder, Alte, Frauen und Kranke, sodass die Zahl der volleinsatzfähigen Fachkräfte unter ihnen begrenzt war.[7]

Viel häufiger galten die Vertriebenen bei den deutschen Stadtverwaltungen und der alteingesessenen Bevölkerung als zusätzliche Belastung in ohnehin schweren Zeiten und wurden als Fremdlinge darüber hinaus durchaus abschätzig beäugt. Nicht zuletzt herrschte unter den Alteingesessenen die Angst, die Vertriebenen könnten ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Diese Sorge war jedoch unbegründet.[8] Wie das folgende Zitat veranschaulicht – das aus einer Druckschrift eines Sudetendeutschen stammt, der darin an das wechselseitige Integrationsbemühen von Einheimischen und Vertrieben appelliert –, wurden Vertriebene bei der Arbeitsvermittlung gegenüber den Einheimischen eher benachteiligt und vorzugsweise als Hilfsarbeiter angestellt:[9]

„In Bayern sind von 2 Millionen Ausgewiesener ½ Million in einem vom Arbeitsamt vermittelten Arbeitsverhältnis. Das ist in Anbetracht der überaus großen Zahl von Alten, Frauen und Kindern unter den Ausgewiesenen, die nicht als arbeitsfähig betrachtet werden können, außerordentlich viel. Der Vorwurf, daß die Flüchtlinge nicht arbeiten, ist daher im allgemeinen sicher nicht berechtigt. Von dieser halben Million ist aber die Hälfte nur als Hilfsarbeiter, also auf der untersten sozialen Stufe, eingesetzt, trotzdem der größte Teil von ihnen in der alten Heimat sicher nicht als Hilfsarbeiter tätig gewesen ist.“[10]

Somit stellten Flüchtlinge ein Arbeitskraftpotenzial dar, das aufgrund von sozialen Zwängen zu niederen, mitunter körperlich schweren – und somit bei der angestammten deutschen Bevölkerung wenig beliebten – Arbeiten eingesetzt werden konnte. Ein Beispiel hierfür ist die Trümmerräumung; eine schwere und gefährliche Arbeit, die spätestens seit 1941/42 als Strafarbeit codiert war, da die Nationalsozialisten vorrangig KZ-Häftlinge, Zivilarbeiter und Kriegsgefangene zu diesen Arbeiten eingesetzt hatten.[11]

[1] Dieser Beitrag ist ein leicht überarbeiteter und gekürzter Auszug aus meiner Monografie: Treber, Leonie: Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes. Essen 2014, S. 179 ff.
[2] Vgl. Kossert, Andreas: Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945. München 2008, S. 59, 196 und Herbert, Ulrich: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge. Bonn 2003, S. 193 ff.
[3] Vgl. Stadtarchiv Dresden, 4.1.8, Nr. 55: Arbeitslagebericht des Arbeitsamtes Dresden für die 2. Hälfte des Monats August 1945; 4.1.8, Nr. 44: Situationsbericht des Landesarbeitsamtes Sachsen für den Monat Mai 1947 und Schwartz, Michael: „Zwangsheimat Deutschland“. Vertriebene und Kernbevölkerung zwischen Gesellschaftskonflikt und Integrationspolitik, in: Naumann, Nachkrieg in Deutschland, S. 114–148, hier: S. 124.
[4] Glensk, Evelyn: Großstädtischer Arbeitsmarkt und Vertriebenenintegration. Das Beispiel Hamburg, in: Hoffmann, Dierk/Krauss, Marita/Schwartz, Michael (Hg.): Vertriebene in Deutschland. Interdisziplinäre Ergebnisse und Forschungsperspektiven. München 2000., S. 251–272, hier: S. 255 f.
[5] Zitiert nach: ebda. S. 255.
[6] Zank, Wolfgang: Wirtschaft und Arbeit in Ostdeutschland 1945–1949. Probleme des Wiederaufbaus in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. München 1987, S. 148.
[7] Vgl. Schwartz, Michael: Emanzipation zur sozialen Nützlichkeit: Bedingungen und Grenzen von Frauenpolitik in der DDR, in: Hoffmann, Dierk (Hg.): Sozialstaatlichkeit in der DDR. Sozialpolitische Entwicklungen im Spannungsfeld von Diktatur und Gesellschaft 1945/49–1989. München 2005, S. 47–87, hier: S. 52.
[8] Vgl. Krauss, Marita: Das „Wir“ und das „Ihr“. Ausgrenzung, Abgrenzung, Identitätsstiftung bei Einheimischen und Flüchtlingen nach 1945, in: Hoffmann/Krauss/Schwartz, Vertriebene in Deutschland, S. 27–39, hier: S. 32.
[9] Zur vergleichsweisen hohen Quote von Vertriebenen unter den unqualifizierten Arbeits-kräften im Gegensatz zu den Einheimischen vgl. auch: Kossert, Kalte Heimat, S. 92 und Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik, S. 197.
[10] Stadtarchiv Nürnberg, C 44 Nr. 96: Flüchtlingsnot als Aufgabe. Ein Wort der Mahnung an Einheimische und Heimatvertriebene, 15. Oktober 1947.
[11] vgl. Treber, Mythos Trümmerfrauen, S. 43 ff.

Zeithistorikerin, interessiert sich u. a. für Erinnerungskultur und Geschlechtergeschichte

Kommentare sind geschlossen.