„…überall Fremder und bestenfalls Gast…“: Stefan Zweig

Stefan Zweig, am 28. November 1881 in Wien geboren, gilt als einer der erfolgreichsten  deutschsprachigen Schriftsteller seiner Zeit. Werke wie Sternstunden der Menschheit (1927) oder die Schachnovelle (1942) zählen heute zum Literaturkanon.

Bereits mit 16 Jahren publizierte Zweig erste Gedichte. Nach dem Gymnasium studierte er Literatur und Philosophie in Wien und Berlin und wurde 1904 mit einer Arbeit über die Philosophie des Hippolyte Taine promoviert. Die folgenden Jahre waren von bedeutenden Begegnungen, weiten Reisen und einer umfassenden literarischen Produktion in verschiedenen literarischen Genres geprägt.

Angesichts des Aufstiegs der Nationalsozialisten zeichneten sich auch in Österreich schon in den 1930er Jahren politische Repressionen ab. So emigrierte Zweig 1934 nach England und von dort nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach Brasilien. Sein Name war in Deutschland und ab 1938 auch in Österreich auf der sogenannten Schwarzen Liste verbotener Autoren zu finden, seine bis dato veröffentlichen Titel von Bücherverbrennungen betroffen.[1] 1941 wurde ihm seitens der Nationalsozialisten sein Doktorgrad aberkannt.[2]

Zweig hat die Erfahrungen der Flucht und des Exils in seiner Autobiographie und schon in seinen Tagebüchern mit einer ausnehmenden Eindrücklichkeit und Offenheit festgehalten. Die damit einhergehende tiefe Entwurzelung wird besonders in diesen Selbstzeugnissen deutlich:

„Ich bin aufgewachsen in Wien, der zweitausendjährigen übernationalen Metropole, und habe sie wie ein Verbrecher verlassen müssen, ehe sie degradiert wurde zu einer deutschen Provinzstadt […] Mein literarisches Werk ist in der Sprache, in der ich es geschrieben, zu Asche gebrannt worden, in eben demselben Lande, wo meine Bücher Millionen Leser sich zu Freunden gemacht. So gehöre ich nirgends mehr hin, überall Fremder und bestenfalls Gast.“[3]

In der Rückschau auf sein bis 1940 währendes Exil in England schreibt Zweig:

„Noch hatte nicht jener grauenhafte, jener keinem, der ihn nie am eigenen Leibe erlebt, erklärbare Zustand der Vaterlandslosigkeit begonnen, dieses nervenzerwühlende Gefühl, mit offenen wachen Augen im Leeren zu taumeln und zu wissen, daß man überall, wo man Fuß gefasst hat, in jedem Augenblick zurückgestoßen werden kann.“[4]

Zum letztlichen Entzug der Staatsbürgerschaft heißt es an anderer Stelle:

„Am Tage, da ich meinen Pass verlor, entdeckte ich mit achtundfünfzig Jahren, daß man mit seiner Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde.“[5]

Kern der zitierten Reflexionen ist nicht ein materielles oder körperliches, sondern vor allem und in erster Linie ein unendliches seelisches Leiden. Dieses Leiden konnte kaum dadurch gemildert werden, dass Zweig in Brasilien gefeiert und gewürdigt wurde, einen abgelegenen Zufluchtsort fand und einige seine berühmtesten Werke verfassen konnte.

Wie tief die Zermürbung der Heimatlosigkeit gereicht haben muss, spiegelt kaum etwas schockierender als Zweigs Entscheidung, sich im Alter von 60 Jahren das Leben zu nehmen. Der offizielle Abschiedsbrief, den der Schriftsteller bei seinem Tod am 22. Februar 1942 hinterließ, spricht von Ermüdung und Verzweiflung sowie von dem bewussten Verzicht auf einen eventuellen zukünftigen Neuanfang:

„Aber nach dem sechzigsten Jahre bedurfte es besonderer Kräfte, um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen.

Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.“[6]

Zweig ahnte trotz der im eigenen Leben erfahrenen Grausamkeit eine „Morgenröte“ für Europa voraus. Die damit zum Ausdruck gebrachte Hoffnung hätten 1942 wohl nur wenige Zeitgenossen in dieser Weise auszusprechen gewagt – zu Zweigs persönlicher Hoffnung wurde sie aber nicht mehr.

[1] httpss://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_verbrannten_B%C3%BCcher_1933, Zugriff am 1. September 2015.
[2] https://sciencev1.orf.at/news/108497.html, Zugriff am 1. September 2015.
[3] Zweig, Stefan: Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers. 41. Auflage. Frankfurt a. M.: Fischer 1970, S. 8.
[4] Ebd., S. 443.
[5] Ebd., S. 468.
[6] Zweigs Abschiedsbrief vom 22. Februar 1942, zitiert nach: https://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Objekte/zweig-stefan-abschiedsbrief.html?single=1, Zugriff am 1. September 2015.

Studiert Germanistik, Geschichte und Erziehungswissenschaften an der Universität Köln.

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