Olga Benario-Prestes

Olga Benario wurde 1908 in München geboren. Sie zog 1925 zusammen mit ihrem Freund Otto Braun, dem in der Nähe des Alexanderplatzes ebenfalls eine Straße gewidmet ist, nach Neukölln. Beide waren für die KPD tätig und wurden im Oktober 1926 wegen Hochverrats verhaftet. Olga Benario, die zu dieser Zeit 18 Jahre alt und kaum bekannt war, wurde nach zwei Monaten wieder entlassen. Im April 1928 kam sie allerdings (auf beiden Seiten) zu Ruhm, als sie eine Gruppe leitete, die Braun in einer bewaffneten und in der Presse als spektakulär bezeichneten Aktion aus der Justizvollzugsanstalt Moabit befreite. Sie flohen zusammen nach Moskau, wo Benario zur Kominternagentin und Pilotin ausgebildet wurde. Braun und Benario trennten sich 1931, blieben aber weiterhin in Moskau. 1934 wurde sie ausgewählt, den früheren Hauptmann der Brasilianischen Armee und bekannten Rebellenführer Luís Carlos Prestes nach Brasilien zu begleiten, um ihm auf der Reise als Tarnung zu dienen und ihn später bei der Vorbereitung der Revolution in Brasilien zu unterstützen. Auf dieser Reise, die Monate dauerte, gaben sie sich als portugiesisches Ehepaar in den Flitterwochen aus und verliebten sich irgendwann ineinander, sie lebten während ihrer folgenden Zeit in Brasilien zusammen.

Ihr Putschversuch am 27. November 1935 gegen den Diktator Getúlio Vargas schlug fehl, die konspirativ vorbereitete Revolution scheiterte bereits nach wenigen Tagen. Benario und Prestes tauchten unter, wurden aber im März 1936 verhaftet. Sie sahen sich danach nie wieder. Olga Benario war zu dieser Zeit schwanger und hoffte, dass sie aus diesem Grund nicht an Deutschland ausgeliefert werden würde. Nun war Brasilien zu jener Zeit kein demokratisches Land und Getúlio Vargas alles andere als ein hin- und hergerissener und von seinem Gewissen geplagter Menschenfreund. Und dennoch muss zu jener Zeit das Bewusstsein dafür da gewesen sein, dass es ein Bruch jeglicher humanitärer Maßstäbe sein würde, eine schwangere Frau, eine Jüdin und Kommunistin, in ein Land wie es Deutschland zu jener Zeit war, abzuschieben. Trotzdem, ungeachtet aller Bemühungen wurde Olga Benario im siebten Monat ihrer Schwangerschaft auf ein Schiff gebracht, das am 18. Oktober 1936 den Hafen von Hamburg erreichte. Zuerst kam sie ins Frauengefängnis in der Berliner Barnimstraße, wo sie im November ihre Tochter Anita Leocadia zur Welt brachte. Vierzehn Monate lebten Mutter und Kind zusammen in einer Gefängniszelle bis Olga Benario nicht mehr stillen konnte. Anita wurde an ihre brasilianische Großmutter übergeben, was nur aufgrund internationaler Proteste möglich war. Danach kam Olga Benario zuerst ins KZ Lichtenberg, dann ins KZ Ravensbrück, 80 km von Berlin entfernt. Sie verbrachte einige Wochen in Einzelhaft, wurde mehrmals verhört. Später wurde sie nicht mehr als politische Gefangene, sondern als Jüdin behandelt und 1942 zusammen mit anderen jüdischen Häftlingen des KZ Ravensbrück in der Tötungsanstalt Bernburg vergast. Ihre Mutter, die sich aufgrund politischer Differenzen früh von Olga losgesagt hatte, starb 1943 im KZ Theresienstadt, ihr Bruder Otto wurde 1944 in Auschwitz getötet. Anita lebt noch heute in Brasilien und ist selbst eine sehr beeindruckende Frau, die viel für das Gedenken an ihre Eltern tut.

Es gibt vieles, was ich noch über Olga Benario und ihre Haftzeit schreiben möchte, etwa wie sie versuchte, die anderen Frauen im KZ zu motivieren oder über ihren geradezu undenkbaren und sehr bewegenden Briefwechsel mit Prestes, der jahrelang in Einzelhaft saß und seine Tochter erst im Oktober 1945 zum ersten Mal sah. Doch angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen in Deutschland, die mich sehr betrübt und wütend machen, hat sich mein Fokus verschoben. Weniger als das Damals und das Ende, denke ich nun an das Heute und das, wo alles beginnt.

Es ist nicht ihr Tod, für den Olga Benario einen Platz in unserem kollektiven Gedächtnis erhalten hat, sondern ihr Leben. Wir erinnern uns an sie, weil sie ein außergewöhnlicher Mensch war. Vermutlich erinnern wir uns an sie etwas weniger als an andere, weil sie eine Frau und eine Kommunistin war. Ihr Tod jedenfalls, und das ist das absolut Unerträgliche daran, war nicht außergewöhnlich. Viele sind diesen Fabriktod gestorben.

Die Nazis machten Olga Benarios Ende zu einem von Millionen, was sie in gewisser Weise mit allen von den Nazis Ermordeten verschmelzen lässt. Wer an Olga Benario denkt, der sollte auch daran denken, dass es andere gab, deren Gesichter und Namen vergessen wurden und deren Lebenswege nicht zur Benennung einer Straße taugen. Olga Benarios Geschichte ist eine dieser Geschichten, die zugleich von einer Fülle und von einer Lücke erzählen. Wir haben etwas verloren, aber es war eindeutig da – auch wenn wir es nur erahnen, weil wir von den Rändern auf den Abgrund blicken, den es hinterlassen hat.

Viel wichtiger ist mir aber, dass wir uns trauen, in diesem Abgrund auch uns selbst zu erkennen, hier und heute. Denn das Erinnern ist nur eine Pose zur Bescheinigung der eigenen moralischen Intaktheit, wenn es nicht der Selbstbefragung dient. In meinen Augen ist das eine Perversion des Gedenkens, in dem zurückliegendes Unrecht bejammert und mit reingewaschenen Händen an die Vergangenheit übergeben wird, ohne eine Verantwortung für die Gegenwart darin zu erkennen. Das schreibe ich, obwohl ich lange genug zum Erinnerungsdiskurs und der Rezeption des Holocaust gearbeitet habe, um zu wissen, dass aus Geschichte nicht gelernt wird. Aber wir können Geschichte dafür nutzen, unsere Urteilskraft zu stärken und die Trägheit unserer Vorstellungskraft zu überwinden. Ein Flüchtlingsboot ist selbstverständlich keine Gaskammer und der durch den nationalsozialistischen Staat legitimierte Rassismus und Massenmord ist in keiner Weise gleichzusetzen mit der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik unseres demokratischen und trotz aller Fehler bemühten Landes. Es ist mir wichtig, zu unterstreichen, dass es mir nicht um Nivellierung und Gleichmacherei geht. Das respektvolle Gedenken an die Ermordeten des Nationalsozialismus wie auch an die Widerstandskämpfer/innen (ob nun bürgerlich, militärisch oder kommunistisch) ist mir überaus wichtig. Doch es ist leicht, mit Jahrzehnten Abstand eine Handvoll mutiger Menschen zu würdigen, vor allem, weil dabei auch oft das Zwiespältige an ihnen verdeckt und vergessen wird. Viel schwerer ist es, hier und heute zwischen all den zwiespältigen Umständen die Mutigen zu erkennen, die sich eben nicht einem Schicksal und einer Ungerechtigkeit hingeben wollen, die andere Menschen oder ganze Systeme für sie vorgesehen haben. Wir werden nicht zu besseren Menschen, weil wir um Olga Benario und die vielen anderen Opfer des Nationalsozialismus trauern. Wir haben aber die Möglichkeit, eine bessere Gesellschaft zu werden, wenn wir in den Flüchtlingen, die in unser Land kommen keine bedrohliche und gesichtslose Masse, sondern Männer und Frauen, Kinder und Erwachsene, Jungen und Mädchen erkennen, die – egal ob gut oder schlecht, gesund oder krank, stark oder schwach, schön oder hässlich – ein Recht auf Menschenwürde, ein Recht auf ein Menschenleben haben.

(Dies ist eine leicht gekürzte und aktualisierte Fassung eines Textes, den ich im Februar 2014 im Rahmen meines Projektes zur Grünen Stadt in Berlin über die Olga-Benario-Prestes-Straße verfasst habe. Damals standen Flüchtlinge auf dem Dach der Gerhard-Hauptmann-Schule und protestierten. Heute wünsche ich mir, dass wir protestieren.)

Quellen:
Olga Benario, Luiz Carlos Prestes: Die Unbeugsamen. Briefwechsel aus Gefängnis und KZ. Herausgegeben von Robert Cohen. Wallstein, Göttingen 2013.
Ruth Werner: Olga Benario – die Geschichte eines tapferen Lebens. Neues Leben, Berlin 1961.
Wikipedia-Eintrag über Olga Benario-Prestes.

Diplom-Kulturwissenschaftlerin und Initiatorin von An einem Tisch – Gespräche über das Ankommen und Leben in Deutschland, über Identität, Heimat und Exil (siehe Webseite).

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