Als 22-jähriger Jurastudent erlebte Heinrich Marx[1] (1911–1994) den Boykott gegen jüdische Geschäfte Anfang April 1933 in Berlin. Unter dem Eindruck dieser Ereignisses – „das deprimierendste, das ich in meinem Leben durchzumachen hatte“ – stellte er sich am 5. April 1933 in seinem Tagebuch die Frage „Bleiben oder gehen?“:
„Jeden Abend sitzen wir nun bei uns oder bei Bekannten, besprechen die Lage […] zwischen Wegfahren und Hierbleiben gehen lebhafte Diskussionen hin- und her. Das Ergebnis ist jedes Mal dasselbe, nämlich dieses eine: abwarten.“
Marx wollte in Berlin bleiben, die Emigration war für ihn ein radikaler Schritt, der kein Zurück mehr erlaubte:
„Weggehen hat nur Sinn, wenn man imstande ist, alle Brücken hinter sich abzubrechen, wen man die begründete Aussicht hat, sich im Ausland eine neue Existenz zu schaffen, ohne irgendwie darauf angewiesen zu sein, je wieder in dieses Land [mit] diesem Regime [zu müssen]. […] Man darf sich nicht zu Kopflosigkeiten verleiten lassen. Alles will genau überlegt sein.“
Noch im selben Jahr wurde Heinrich Marx gezwungen, sein Studium abzubrechen. Er begann 1934 eine Lehre im Bankhaus Gebrüder Arnold in Berlin, im Sommer 1934 war er in KZ-Haft. Nach einer Tätigkeit in der Zigarrenfabrik Jacobi emigrierte er 1937 in die USA. Er war von 1937 bis 1969 der Herausgeber der New Yorker Staats-Zeitung und von 1985 bis 1994 der jüdischen Wochenzeitschrift Aufbau.
Heinrichs Marxens Tagebuch II, März 1933 bis November 1934 befindet sich im DEA, EB 69/160, Nachlass Heinrich Marx.
Die Jahrgänge 1934–2004 der Wochenzeitschrift Aufbau sind digitalisiert.
[1] Dok. 26. Der Student Heinrich Marx erörtert am 5. April 1933 nach dem Boykott in Berlin die Frage „Bleiben oder gehen?“, in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Bd.1: Deutsches Reich, 1933–1937, München 2008, S. 120 f. Alle Zitate ebd.