Eine politische Journalistin im Exil: Ruth Körner (1908-1995)

 „Die Emigration aus der Perspektive der Kleinen sieht völlig anders aus

als bei den Spitzen“1

Passbild, vermutlich um 1938 aufgenommen. Aus dem Nachlass von Ruth Körner EB 97/140, Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt am Main.

Passbild, vermutlich um 1938 aufgenommen. Aus dem Nachlass von Ruth Körner EB 97/140, Deutsches Exilarchiv 1933-1945, Frankfurt am Main.

Elisabeth Friederike Theresia Schwarz war in ihrer frühen Jugend als ausgebildete Theaterschauspielerin erfolgreich. Sie trat unter anderem in Innsbruck, Hamburg und Wien auf, Film- und Salonrollen wurden ihr angeboten. Ende der 20er geht sie zusammen mit ihrer Mutter Cornelia Schwarz nach Berlin, weil es ihr in ihrer Geburtsstadt Wien nicht mehr gefällt und sie gerne studieren wollte.2 Elisabeth Schwarz, die sich ab etwa 1933 Ruth Körner nennt, studiert an der Hochschule für Politik und engagiert sich, wie sie selbst sagt „sehr weit links“.  Sie reist viel und schreibt an Reisereportagen sowie journalistischen Texten, die im Berliner Börsen-Courier und Berliner Tageblatt erscheinen. Nachdem die Macht 1933 an die Nationalsozialisten übergeben wird, wird Ruth Körner – unter anderem an der Universität – aufgrund ihrer politischen Aktivitäten und aus antisemitisch-rassistischen Motiven immer wieder bedroht.3

Heimkehr nach Österreich

Einer Verhaftung entkommt sie. Zusammen mit ihrer Mutter verlässt sie Berlin. Mit dem Nachtzug geht es im Januar 1933 nach Wien zurück: zwar dem Status nach nicht als Emigrantinnen, da beide österreichische Pässe hatten, aber dennoch nicht freiwillig. Noch vor 1933 war Körner der SPÖ beigetreten, sie reist auf der Suche nach Lebensmöglichkeiten nach Moskau, besucht den Ersten Allunionskongress sowjetischer Schriftsteller und arbeitet an einem Text über eine Indienreise, der unter dem Titel Fieberndes Indien 1937, typographisch umgesetzt von Hugo Steiner-Prag im Saturn Verlag in Wien und in der Büchergilde Gutenberg in Zürich erscheint.

Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 verschlechtert sich die Situation für Ruth Körner und ihre Mutter. Ihre Wohnung im 2. Bezirk, die auch ein Treffpunkt für Kommunist/innen war, wird mehrfach durchsucht. Unter dem Vorwand beruflicher Verpflichtungen der Tochter und eines Kuraufenthalts der Mutter fliehen beide am 1. April 1938 aus Wien nach Prag. Um an den Grenzen nicht als Flüchtende aufzufallen, können sie nahezu nichts mitnehmen.

Exil in der ČSR

Körner engagiert sich im Exil in der Tschechoslowakei vor allem in der Flüchtlingspolitik. Im Mai 1938 versucht sie mit Unterstützung des PEN in London4 für eine Gruppe von über 600 Personen, darunter auch viele deutschsprachige Schriftsteller/innen, eine Rettung nach Großbritannien zu erreichen.5 Im Sommer 1938 schreibt sie anlässlich der Konferenz in Evian6 über die katastrophale Situation der Flüchtenden in Brünn (Mähren). Sie arbeitet für verschiedene sozialistisch-orientierte Zeitungen und ist  – trotz des Risikos verhaftet zu werden – immer wieder als Korrespondentin auf dem Gebiet des Deutschen Reichs aktiv. Als absehbar wird, dass die Nationalsozialisten ihren Machtbereich auch in der Tschechoslowakei immer weiter ausdehnen werden7 , fliehen Ruth Körner und ihre Mutter im Herbst 1938 nach London.

Refugees in London

 Ein Bekannter, der in dieser Zeit als Wiener Korrspondent für die britische Tageszeitung The News Chronicle arbeitet, hilft den beiden bei ihrer Flucht und Ankunft mit einer Erklärung gegenüber den Behörden. „ […] was wir nicht wußten und er [der Bekannte] wohl auch nicht, daß man mit dieser Erklärung zwar aus dem Flugzeug aussteigen, aber den Flughafenbereich nicht verlassen durfte.“8  Es gelingt ihnen dennoch – mit Hilfe von Dr. Gerhard Schacher – diesen Transitbereich9 zu verlassen. Auf der Suche nach Wohnung und Arbeit werden Mutter und Tochter von einer britischen Hilfsorganisation unterstützt – etwa durch Vermittlung einer Unterkunft im Rahmen von privater Gastfreundschaft (damit war die Aufnahme von Flüchtlingen in Privatwohnungen verbunden). Bis zum Kriegsende bleiben sie in London. Auch zur Zeit der Bombardements dort ab 1940 wollen sie sich nicht evakuieren lassen. „Das war eine ganz irrsinnige Idee, die Leute nach Eastburne und Bournemouth zu evakuieren, überall, an alle Küsten und Grenzen.“ erinnert Körner.10

Eine Zeit lang arbeitet die Journalistin als Sekretärin für das Emigrantenkabarett Laterndl und für das deutschsprachige Blatt Die Zeitung, das von März 1941 bis Juni 1945 vom Londoner Informationsministerium in einer Auflage von durchschnittlich ca. 15.000 Exemplaren herausgegeben wird und sich vorwiegend an deutsche Exilierte richtete. Im Krieg wurde Die Zeitung als Dünndruckausgabe von der Royal Air Force über Deutschland abgeworfen. Körner ist für den Inhalt der Österreichischen Seite verantwortlich.

Nach dem Sieg der Alliierten über Deutschland engagiert sich Körner intensiv für den Versuch der Alliierten, der nationalsozialistischen Ideologie mit demokratischer Bildungsarbeit im Rahmen der Re-Education zu begegnen.  Sie ist für die ABSIE11 tätig und trifft in Lagern für Kriegsgefangene auf überzeugte Nationalsozialisten – ohne den angebotenen Waffenschutz – wie sie später betont. Sie hält Vorträge und diskutiert mit Tätern über Themen wie „Das Individuum und die Masse.“ Im Nachlass sind Manuskripte und Briefe aus dieser Zeit erhalten.

Nach Aufenthalten in Kanada und Australien geht Ruth Körner 1956 dauerhaft nach Deutschland zurück. Einen Antrag auf Wiedergutmachung stellt sie nicht. Mitte der 1960er Jahre lebt sie zeitweise in Israel. Zurück in München verdient sie ihren Unterhalt mit kleineren Übersetzungs-, Rundfunk- und Textarbeiten sowie einem Archivprojekt am Institut für Zeitgeschichte. Sie sammelt stets Material zu Themen, die sie interessieren und recherchiert intensiv für ihre Bücher, z. B. über Kanada und Chile12 In ihren Reportagen beschäftigt sie sich immer wieder mit Formen von Gewalt und Unterdrückung. Ruth Körner starb  am 5. September 1995 in München.13 Einer ihrer Vertrauten und Freunde, der Historiker Wolfgang Benz, erzählt mir bei meinen Recherchen, dass Ruth Körner nicht nur Geschichten, sondern auch gerne Kastanien sammelte. Ich auch. Schade, dass ich diese kluge und interessante Frau nie getroffen habe.

Literaturhinweise:

 Wolfgang Benz: Deutsche Juden im 20. Jahrhundert: eine Geschichte in Porträts, Beck: München 2011, darin: „Wie die Lilie auf dem Felde“: Ruth Körner, S. 246-257.

Sigrid Thielking: Gute Europäerinnen. Anna Siemsen und Ruth Körner im Exil., Schriften des Essener Kollegs für Geschlechterforschung hrsg. von: Doris Janshen, Michael Meuser I. Jg. 2001, Heft III, digitale Publikation

 

  1. Ruth Körner, geb. als Elisabeth Friederike Theresia Schwarz, gesch. Passer. Bis 1932 ist sie Mitglied der KPD . Vgl. Interview von Dr. Werner Röder mit Ruth Körner in München am 21. Februar 1972, S. 1. In: NL Ruth Körner EB 97/140  im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Frankfurt am Main. []
  2. Vgl. Interview mit Ruth Körner (ebd.),  S. 4. []
  3. „Dort wurde ich nach dem Januar 1933 von einem Nazi sehr rüde angegriffen, weil „ich noch nie die Frechheit besaß, dort herumzulaufen und sogar Bücher auszuleihen.“ Interview mit Ruth Körner (ebd.), S. 1. []
  4. Im Londoner Exil organisierte sich rund um Rudolf Olden eine Gruppe versprengter deutschsprachiger Schriftsteller im PEN. Vgl. dazu Thema „PEN“ in der virtuellen Ausstellung Künste im Exil []
  5. Rekonstruierbar anhand von einer Korrespondenz zwischen Ruth Körner und Rudolf Olden. Vgl. dazu Unterlagen im Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main zu der PEN-Gruppe im Exil, EB 75/175. []
  6. Die Konferenz von Évian fand vom 6. Juli 1938 bis zum 15. Juli 1938 im französischen Évian-les-Bains am Genfersee statt. Vertreter von 32 Nationen trafen sich auf Initiative des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Ziel war es, die Möglichkeiten der Auswanderung von Jüdinnen und Juden aus dem nationalsozialistischen Deutschland und Österreich zu verbessern. []
  7. Mit dem Münchner Abkommen von 1938 wurde die Republik in zwei Teile geteilt. Ab März 1939 blieb die „Rest-Tschechoslowakei“ bis zur Wiedererrichtung im April 1945 unter deutscher (Protektorat Böhmen und Mähren) und ungarischer Gewalt- und Machtausübung. Bis 1938 flohen etwa 10.000 bis 20.000 Exilanten in die Tschechoslowakei, von ihnen etwa 5.000 Jüdinnen und Juden. Die Mehrheit der Flüchtlinge waren nicht-jüdische politisch Verfolgte. Brünn wurde 1939 von Deutschen Truppen besetzt. []
  8. Interview mit Ruth Körner (ebd),  S. 4. []
  9. Vgl. zu Transit Anna Seghers: Transit. (1944) oder Martín Steinhagen in der Frankfurter Rundschau zu Transitzonen am Flughafen Frankfurt []
  10. Vgl. Interview mit Ruth Körner (ebd.),  S. 4. []
  11. American Broadcasting Stations in Europe []
  12. Ihr Buch Chile: nach 10 Jahren Pinochet erschien 1983 im S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main. []
  13. Der Nachlass wurde 1997 dem Deutschen Exilarchiv 1933-1945 übergeben. []

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Frankfurt am Main und arbeitet dort unter anderem für das Projekt Künste im Exil

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