Hunderttausende deutscher Bürgerinnen und Bürger wurden ab 1933 zunehmend aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt, diskriminiert und schließlich auch mit Gewalt verfolgt. Die Flucht aus Deutschland war die einzige Hoffnung für diese Menschen; die Länder des British Commonwealth of Nations gehörten mit zu den Hauptzielen, ebenso wie Palästina, das seit 1922 unter britischem Mandat stand.
Die Länder des Dominion (außer Neufundland) verfolgten zunächst eine noch relativ liberale Einwanderungspolitik. Sobald sich durch die „Nürnberger Gesetze“ ab September 1935 die nationalsozialistische Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland verschärfte und immer mehr Menschen auswandern wollten, wurden die Aufnahmezahlen für Immigranten jedoch deutlich beschränkt.[1] Hintergrund war der Druck bestimmter Eliten auf die jeweiligen Regierungen, da diese eine Überflutung der Arbeitsmärkte mit hoch qualifizierten jüdischen Einwanderern aus Europa befürchteten.[2] Entsprechend hielten Kanada, Australien, Südafrika, Neuseeland, Irland und Neufundland die Immigrationsquoten relativ gering.[3] Das „Mutterland“ des British Commonwealth zeigte sich hier offener. Bis zum Herbst 1938 konnten etwa 11.000 deutsche Juden nach Großbritannien einwandern, nach dem Novemberpogrom immigrierten weitere 40.000 Menschen auf die Insel.[4]
Anders verhielt es sich im Fall von Palästina, für das Großbritannien am 24. Juli 1922 das Mandat von der League Of Nations übertragen worden war.[5] Am 15. März 1938 reduzierte die britische Regierung die Immigrationsquote für Palästina für die folgenden sechs Monate auf 3.000 Personen.[6] Der Minister of Colonies, Malcolm MacDonald, betonte hierzu im Nachhinein:
“[I]f we didn’t cutback the Jewish immigration, there was real danger that the Arabs would join Germany and Italy. […] If they mobilized against us, we might lose our position in the Middle East, including Suez Canal, and a large portion of our war potential.”[7]
Grund für die restriktive Quotenregelung war also die primäre Sorge um das Verhältnis zu den arabischen Staaten. Obwohl sich durch das Novemberpogrom 1938 die Lage für jüdische Bürgerinnen und Bürger in Deutschland weiter verschärft hatte, blieb Großbritannien bei einer strikten Einwanderungsregelung für Palästina. Am 17. Mai 1939 wurde, infolge von Verhandlungen mit den arabischen Staaten, ein sogenanntes White Paper veröffentlicht.[8] Hierin wurde u.a. die Immigrationsquote auf 75.000 Personen für die nächsten fünf Jahre festgelegt.[9] Bis zum Ausbruch des Krieges konnten so insgesamt etwa 50.000 Juden in Palästina einwandern.[10]
Mit Kriegsbeginn wurde die legale Einwanderung nach Palästina von Großbritannien vollends gestoppt. Entsprechend nahm die „illegale Einwanderung“ zu, besonders über den Seeweg. Von Großbritannien wurde alles daran gesetzt, diese Art der Immigration zu unterbinden. Diplomatische Anstrengungen wurden unternommen, um die Flüchtlinge an der Abreise aus ihren Heimatländern zu hindern. Waren die Flüchtlinge bereits unterwegs, kamen auch militärische Mittel zum Einsatz, indem etwa Schiffe auf See abgefangen und zur Umkehr gezwungen wurden, bevor sie anlegen konnten. Im Mai 1942 beschloss der britische Minister of Colonies, Lord Cranborne, dass jüdischen Flüchtlingen, denen die illegale Einreise nach Palästina gelungen war, nachträglich ein Bleiberecht eingeräumt werden sollte.[11] Nach dem Ende des Krieges wurde die Immigration nach Palästina schließlich wieder gestattet, doch die monatliche Einwanderungsquote blieb auf 1.500 Personen begrenzt.[12] Bis zu Beginn des Jahres 1946 hatte sich die Zahl der jüdischen Immigranten aus Zentraleuropa in Palästina auf die im Jahr 1939 festgesetzte Zahl von rund 75.000 erhöht, davon etwa 50.000 aus Deutschland, fast 15.000 aus Österreich und über 10.000 aus der Tschechoslowakei.[13]
Grundlage des Beitrags: Angelika Schoder: Die Vermittlung des Unbegreiflichen. Darstellungen des Holocaust im Museum. Frankfurt a.M. 2014, S. 31-34.
[1] Dazu: Paul R. Bartrop (Hg.): “The British Colonial Empire and Jewish Refugees during the Holocaust Period. An Overview”. In: False Havens. The British Empire and the Holocaust. London 1995, S. vii.
[2] Vgl.: Ebd., S. xiii.
[3] Dazu z.B.: Paul R. Bartrop (Hg.): “Indifference and Inconvenience. Jewish Refugees and Australia, 1933-45”. In: Ebd., S. 127–159; Dermot Keogh: “The Irish Free State and the Refugee Crisis, 1933–45”. In: Ebd., S. 211–238; Edna Bradlow: “South African Policy and Jewish Refugee Immigration in the 1930s”. In: Ebd., S. 239–252.
[4] Wolfgang Benz: „Emigration als Rettung und Trauma. Zum historischen Kontext der Kindertransporte nach England.“. In: Wolfgang Benz, Claudia Curio, Andrea Hammel (Hg.): Die Kindertransporte 1938/39. Rettung und Integration. Frankfurt a.M. 2003, S. 10.
[5] The Council of the League of Nations: The Palestine Mandate. (23.08.2015)
[6] Dazu siehe: Itamar Levin (Hg.): His Majesty’s Enemies. Great Britain’s War Against Holocaust Victims and Survivors. London 2001, S. 5.
[7] Malcolm MacDonald in: Nicholas Bethell: The Palestine Triangle. The Struggle between the British, the Jews, and the Arabs, 1935–1948. London 1980, S. 34, zitiert nach: Levin: His Majesty’s Enemies, S. 6.
[8] British White Paper of 1939. (24.08.2015)
[9] Levin: His Majesty’s Enemies, S. 6 f.
[10] Dazu siehe: Rebekka Göpfert: „Kindertransport. Geschichte und Erinnerung“. In: Benz, Curio, Hammel: Die Kindertransporte 1938-39, S. 35.
[11] Siehe: Levin: His Majesty’s Enemies, S. 7 f.
[12] AJR Information, H. 1 (1946): “Shadow Over Palestine”, S. 1 (23.08.2015); Vgl. dazu: Ebd., H. 3 (1946): “Palestine Immigration Goes On”, S. 19; Ebd.: “Towards a Solution”, S. 19 (23.08.2015).
[13] Siehe: AJR Information, H. 2 (1946): “Palestine to the Rescue”, S. 11 (23.08.2015).
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