Ein Flüchtling ist dafür verantwortlich, dass ein weltbekanntes Hotel, ein weltbekannter Salat und eine weithin bekannte Schulform den Namen eines kleinen Ortes in Südwestdeutschland tragen: Johann Jakob Astor. Astor war gleich zwei Mal von Flucht betroffen: seine Vorfahren waren als protestantische Waldenser aus religiösen Gründen aus Norditalien vertrieben worden,[1] und er selbst entfloh der Aussicht lebenslanger Armut.
Johann Jakob, geboren 1763, war das sechste von 12 Kindern seines gleichnamigen Vaters, eines Metzgers aus Walldorf nahe Heidelberg. Der Kleinhandel mit Fleisch war wenig einträglich und wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig vom Wohlergehen der Dorfbewohner abhängig. Ein Dutzend Kinder war nicht finanzierbar, und so versuchte einer nach dem anderen sein Glück in der weiten Welt, ohne irgendeine wirtschaftliche Grundlage mitnehmen zu können: Heinrich, der als erster in Richtung USA aufbrach, musste sich als Söldner der britischen Armee im Unabhängigkeitskrieg einschreiben, um über den Atlantik zu kommen. Als Johann Jakob 17 war, wanderte er ins nahe Speyer, verdingte sich als Rheinschiffer und sparte genug Geld für die Reise nach London, wo sein Bruder für den gemeinsamen Onkel in der Musikinstrumentefirma „Astor & Broadwood“ arbeitete. Dort, unter weiterhin prekären Bedingungen, lernte er die englische Sprache und sparte für die Überfahrt nach Amerika.
Mit 20 Jahren hatte Johann Jakob, der sich mittlerweile John Jacob nannte, das Geld beisammen und machte sich auf die Überfahrt – mitten im Winter. Weil sein Schiff, die US-Küste bei Baltimore schon in Sichtweite, im Eis des Meeres festfror, ging er die letzten Schritte seines Weges in das verheißungsvolle Land zu Fuß. Nach einigen Zwischenstationen erreichte er im Frühling 1784 New York, wo der ehemalige Söldner Heinrich mittlerweile wieder als Metzger arbeitete, und eröffnete ein Geschäft für Musikinstrumente, in dem er die importierten Güter seines Onkels aus London verkaufte – beginnend mit einigen Flöten, die er auf der Überfahrt bei sich getragen hatte. Weil das zum Leben nicht reichte, arbeitete er nebenbei als Lieferjunge für einen deutschstämmigen Bäcker und als Assistent für einen Pelzhändler. Von diesem lernte Astor das Handwerk, das ihn wohlhabend machen sollte: innerhalb von 10 Jahren wurde aus dem Jungen, der auf dem Rhein die Überfahrt nach London erarbeitete, ein Luxuswarenhändler, der den Pelzmarkt in den USA ebenso kontrollierte wie den Außenhandel nach Asien und Europa.[2] Wirklich reich wurde Astor aber mit seinen Grundstücksgeschäften. Schon früh setzte er auf steigende Nachfrage nach Wohn- und Geschäftsraum in Manhattan und dort auf die Nöte jener, die wenig Kapital zur Verfügung hatten: er bot günstige Hypothekenübernahmen, bei denen ein Grundstück an ihn fiel, sobald der eigentliche Besitzer zahlungsunfähig wurde, gleichzeitig verpachtete er unbebaute Grundstücke günstig für maximal 21 Jahre – nach Vertragsablauf fiel der Grund mitsamt des nun dort stehenden Gebäudes an ihn zurück.[3]
Als Astor 1848 starb, war er der sehr wahrscheinlich reichste Mensch der Welt mit einem Vermögen von ca. 20 Millionen Dollar.[4] Per Testament vermachte er einen Teil davon dem Aufbau der öffentlichen Astor Library, die später zu einem Grundstein der New York Public Library wurde, der German Society der Stadt und verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen. Seiner Heimatstadt stiftete er ein Armenhaus, das heute ein kleines Museum und eine Kindertagesstätte enthält.[5] Der größte Teil aber ging an seine Kinder, den Ursprung der bis heute wohlhabenden Astor-Familie. Sie gründeten später das Hotel Waldorf Astoria (dessen fehlendes L nicht zu erklären ist), aus dem der Waldorf-Salat entstammt. 1906 wurde dem Hotel und dem schillernden Namen nach die Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik gegründet, deren Direktor Emil Molt 1919 eine neue Betriebsschule für die Kinder seiner Arbeiter eröffnete: die Waldorf-Schule. Aus dem armen Metzgersjungen war eine Legende geworden, eine Chiffre dafür, dass es in Amerika auch jene schaffen könnten, die vor Armut kaum der Armut entfliehen konnten. Für die meisten blieb dies ein Traum, doch die zahlreichen Einwanderungswellen Deutscher in die USA im 19. Jahrhundert wurden maßgeblich durch John Jacob bestimmmt.
[1] Axel Madsen: John Jacob Astor. America’s First Multimillionaire, New York 2001, S. 7.
[2] https://www.immigrantentrepreneurship.org/entry.php?rec=6#_edn2.
[3] Madsen, Astor, S. 58.
[4] https://www.auswanderer-bw.de/sixcms/detail.php?template=a_artikel&id=6553&sprache=de.
[5] https://www.museum-im-astorhaus.de/html/index.html.