Anders als europäische Länder, deren Nationalismus sich meist auf einer geteilten Geschichte, sprachlichen Grenzen und Traditionen bezieht, verstehen sich die USA in ihrem Selbstbild gerne als „Melting Pot“ (bzw. „Salad Bowl“) und „Nation of Immigrants“. Wenn man die Geschichte der bereits vor der europäischen „Entdeckung“ des Kontinents dort siedelnden Native Americans ausblendet, was gerne geschieht, stimmt dies ja auch zu großen Teilen: Die weiße amerikanische Gesellschaft ist eine Mischung ehemaliger Migrant_innen, was noch heute an den Nachnamen zu sehen ist: Im mittleren Westen trifft man auf viele deutsche, in Minnesota auf Skandinavische. Und nicht nur in New York City gibt es Stadtteile wie „Little Italy“: In Cinncinati, der Hauptstadt des Bundesstaates Ohio, gibt es ein „Over the Rhine“-Viertel, in dem noch immer Bier gebraut wird und viele Metzgereien ihre „German-Style Brats“ anpreisen. Viele der Siedler kamen nicht als Abenteurer über den Atlantik – insbesondere religiöse Gruppen, beispielsweise die Puritaner, flüchteten vor Verfolgung. Viele Migranten kamen aber auch bereits vor dem Gold Rush aus wirtschaftlichen Gründen: Von den Iren, die vor der Great Famine flüchteten, bis zu den Skandinaviern, die auf Land hofften, das einfacher zu bewirtschaften war.
Seit 1903 prangte an der Statue of Liberty im New Yorker Hafen, durch den die meisten der westlichen Migrant_innen das Land erreichten, folgendes Gedicht:
„[…] Give me your tired, your poor/ your hudded masses yearning to breath free,/ The wretched refuse of your teeming shore./ Send these, the homeless, tempest-tost to me,/ I lift my lamp beside the golden door!“
Auch wenn das Gedicht versprach, die armen Massen, die nach Freiheit streben aufzunehmen, war die Geschichte der Migration in die Vereinigten Staaten meist wenig positiv. Beinahe jede Gruppe, die sich gesellschaftlich etabliert hatte, verachtete die nächste Gruppe von Migrant_innen: Das Boot war für sie voll1, die Neuankömmlinge unassimilierte Fremde, die sich nicht an die amerikanische Kultur und ihre demokratischen Prinzipien anpassen wollten2. Viele Gruppen behielten Elemente ihrer (europäischen) Traditionen bei, was man noch heute beispielsweise an der amerikanischen Küche sehen kann. Daraus leiteten manche ab, Migrant_innen hätten keine Amerikaner werden wollen3. Im Zuge der sich ausbreitenden Prohibitionsbewegung der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert wurden die Trinkgewohnheiten der Migrant_innen mit Argwohn betrachtet: Die Osteuropäer säßen in den Saloons der Deutschen, Iren und Böhmen, und würden dort von „Ward Politicians“ als Stimmvieh angeworben werden4. Die erste Generation bleibe dem Land und seiner Kultur fremd, die zweite wüchse gesetzlos auf und werde straffällig. Obwohl sie sich als „Amerikaner“ bezeichnete, habe sie keine Ahnung wofür Amerika stehe, auch wenn sie der Flagge salutierten. Dank der öffentlichen Schulen habe die dritte Generation zwar eine Chance, zu guten Bürger_innen zu werden, dies sei aber auch von der Intelligenz ihrer Großeltern abhängig, so eine Sozialarbeiterin in einem Artikel von Imogen B. Oakley, Funktionärin der „General Federation of Women’s Clubs“, der sich für Prohibition einsetzte5.
In den Großstädten bildeten sich Einwanderer-Enklaven, in denen diese ihre Traditionen und ihre Sprache pflegten. „Der amerikanische Schmelztiegel, wenn es ihn je gab, ist zu einer gesättigten Lösung voller unverdaulicher Klumpen geworden“, so Oakley6. Doch obwohl Migrant_innen Zeitungen in ihren Muttersprachen herausgaben, bestanden diese nicht nur aus Nachrichten aus Europa, sondern beinhalteten auch Übersetzungen wichtiger amerikanischer Dokumente wie der Declaration of Independence, oder auch Aufsätze über amerikanische Geschichte7. Im Land wurden viele verschiedene Sprachen gesprochen und noch heute gibt es, trotz immer wiederkehrender Bestrebungen (meist der Republikaner), keine offizielle Landessprache.
Die „Willkommenskultur“ der Amerikaner basierte auch weniger auf ideologischer Überzeugung als auf dem Bedarf nach neuen Siedlern. Als immer mehr Land Richtung Westen erschlossen wurde brauchte man Menschen, die es nutzten und Handelsrouten etablierten8. Dennoch waren die meisten der Ansicht, dass nicht das Land von den Einwanderern profitierte, sondern nur die Einwanderer von ihrer neugewonnenen Freiheit. Die Vereinigten Staaten waren tatsächlich auch eines der ersten Länder, dass es Migrant_innen ermöglichte, recht einfach und schnell eine Staatsbürgerschaft zu erlangen9.
Allerdings waren nicht alle Migrant_innen gleich willkommen: Jede Gruppe hatte unter Vorurteilen zu leiden und wurde nicht selten stigmatisiert. Besonders bekannt ist jene der Iren, die wegen der Hungersnot in großen Wellen in die USA kamen. Dort wurde ihnen nachgesagt, sie seien Trunkenbolde, auf dem Arbeitsmarkt wurden sie daher häufig offen diskriminiert. Wie viele andere Migrant_innen, wurden sie oft als ökonomische Konkurrenz gesehen. Meist nahmen sie jeden Job an, da sie in der Regel besitzlos in den USA angekommen waren. So waren sie leicht auszubeuten und die Gehälter für einfache Arbeiten blieben niedrig. Mit dem „Immigration Act“ von 1891 wurden die ersten Migrationskontrollen auf Ellis Island eingeführt. Ende des 19. Jahrhunderts gab es wiederholt politische Bewegungen, die den Kongress dazu bewegen wollten, die Migration zu beschränken. 1924 wurde der „National Origins Act“ verabschiedet, der feste Quoten für Migrant_innen einführte. Die Quote basierte auf den im Stichjahr 1890 in Amerika lebenden Menschen eines „national origin“. Zwei Prozent der jeweiligen Bevölkerungsgruppe durfte jährlich einwandern. Die englischstämmigen Migrant_innen wurden somit gegenüber den Osteuropäern, die erst nach 1890 verstärkt nach Amerika kamen, bevorzugt. Calvin Coolidge drückte es anlässlich der Unterzeichnung des Gesetztes so aus: „America must be kept American“. Das Gesetz markierte zugleich das Ende der „Open Door“-Ära des 19. Jahrhunderts.
- Sassen, Saskia. “America’s Immigration ‘Problem.’” World Policy Journal 6.4 (1989): S. 811 [↩]
- Behdad, Ali. A Forgetful Nation: On Immigration and Cultural Identity in the Unites States. Durham and London: Duke University Press, 2005, S. 32 [↩]
- Diner, Steven J. A Very Different Age: Americans of the Progressive Era. New York: Hill and Wang, 2000, S. 98 [↩]
- Welskopp, Thomas. „Amerikas große Ernüchterung: Eine Kulturgeschichte der Prohibition.“ Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2010, S. 37 [↩]
- ebd. [↩]
- ebd., S. 38 [↩]
- Diner, A Very Different Age, S. 99ff. [↩]
- Behdad, A Forgetful Nation, S. 8 [↩]
- Mann, Arthur. “From Immigration to Acculturation.” Making America: The Society and Culture of the United States. Ed. Luther S Luedtke. 2nd ed. Washington: United States Information Agency, 1988, S. 71 [↩]
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