Globale Verflechtungen – Israel, Palästina und Europa

Der Nahostkonflikt, so wie wir ihn verstehen, spielt sich in erster Linie zwischen Israel und den palästinensischen Arabern ab. Tatsächlich ist er eng mit den verschiedenen Konflikten der Region verflochten und damit auch mit dem aktuellen Krieg in Syrien, der zu großen Flüchtlingszahlen vor allem in den Nachbarländern, aber auch in Europa geführt hat. Anlass genug für einen Blick in die verworrene Geschichte dieser Region am östlichen Ufer des Mittelmeers.

Als in Europa die zionistische Idee eines eigenen jüdischen Staates Ende des 19. Jahrhunderts an Rückenwind gewann, gehörte die „Levante“, der Raum der heutigen Staaten Israel, Syrien, Libanon, Jordanien und der palästinensischen Autonomiegebiete, zum Osmanischen Reich. Dieses einst große Imperium war allerdings schon im Begriff zu verfallen. 1875 hatte es den Staatsbankrott erklärt, als es die Schulden bei den großen westeuropäischen Staaten nicht mehr bedienen konnte[1] – daraufhin wurde die Osmanische Staatsschuldenverwaltung gegründet, eine Behörde, die von einem Bankenkonsortium der Gläubigerstaaten gesteuert wurde.[2] Weil die Kontrolle auch die erhobenen Steuern betraf, erlangte Westeuropa Kontrolle über fast die gesamte osmanische Wirtschaftspolitik. Gleiches geschah in Ägypten, das mit dem Sues-Kanal über eine wichtige Handelsressource verfügte – so weitgehend, dass schon zeitgenössisch davon gesprochen wurde, Ägypten könne nicht als souverän angesehen werden.[3]

Die Balfour-Deklaration in der zeitgenössischen Presse

Die Balfour-Deklaration in der zeitgenössischen Presse

Der Erste Weltkrieg bot Großbritannien und Frankreich die Gelegenheit, die eigenen kolonialen Interessen im Nahen Osten durchzusetzen. Das Osmanische Reich, mit dem Deutschen Reich verbündet, wurde so zum offenen Gegner. Gezielt wurden lokale arabische Nationalbewegungen unterstützt, sowohl militärisch wie ideell. Das erste Mal erlangte die Idee einer großen arabischen Nation in der Neuzeit Relevanz – die Idee der Unabhängigkeit von kolonialer Fremdherrschaft ging einher mit dem Traum eines großen, den gesamten Nahen Osten umfassenden Staates.[4] Die Briten sagten 1915 die Anerkennung einer arabischen Unabhängigkeit nach dem Sieg über das Osmanische Reich zu, ab 1916 unterstützte der später zur Filmlegende avancierte Lawrence von Arabien den arabischen Aufstand. Gleichzeitig kämpfte auch die „Jüdische Legion“ für die Briten, der sog. Balfour-Deklaration folgend, die 1917 in Palästina bewusst vage „a national home for the Jewish people” versprochen hatte.

Was weder zionistische noch arabische Freiheitskämpfer wussten: die britische Regierung hatte vollkommen andere Pläne. Nahezu zeitgleich wurde eine geheim bleibende Übereinkunft mit Frankreich geschlossen, das Sykes-Picot-Abkommen. Darin teilte man den Nahen Osten gütlich untereinander auf. Nach dem endgültigen Fall des Osmanischen Reiches sollten weite Teile des Südens, über den Irak bis nach Kuwait, unter britische Herrschaft kommen, der Norden bis Mosul und in die heutige Türkei hinein an Frankreich fallen. Ein kleiner Landstrich im Westen, heute hauptsächlich zu Israel gehörend und Jerusalem wie Gaza umfassend, sollte international kontrolliert werden.

Und dann kam doch wieder alles anders: 1919 schlossen, an den europäischen Mächten vorbei, arabische Nationalisten und jüdische Zionisten die Faisal-Weizmann-Übereinkunft. In ihr bekannten sich Araber und Juden zu einer gemeinsamen Abstammung und vereinbarten die Errichtung eines jüdischen Staates unmittelbar nachdem die arabische Unabhängigkeit erlangt worden sei. Großbritannien sollte bei möglichen Konflikten vermitteln. Doch das Abkommen kam nie auch nur in die Nähe einer Verwirklichung. Der Völkerbund übergab Großbritannien 1922 das Mandat für Palästina, Frankreich erhielt die Kontrolle über Syrien und den Libanon. Beide Staaten hatten kein Interesse daran, ihre Einflusssphären allzu schnell aufzugeben. In dieser Phase, den 1920er Jahren, entstand das, was wir heute als Nahostkonflikt kennen. Immer mehr ZionistInnen wanderten nach Palästina ein und kauften oder pachteten dort Land, das arabischen Großgrundbesitzern gehörte, aber von arabischen Palästinensern bewohnt wurde. Dies führte zu stetig stärker werdenden Konflikten, die 1929 in das Massaker von Hebron mündeten, bei dem 67 Juden ermordet wurden.

In den 1930er Jahren verschärfte sich die Lage in Palästina, da – ausgelöst durch die Verfolgung zunächst der deutschen jüdischen Bevölkerung – die Migration nach Palästina sprunghaft anstieg. Viele Juden, die aus Deutschland (und später den durch Deutschland besetzten Gebieten) flohen, wussten keinen anderen Ausweg als den nach Palästina. Gleichzeitig erhoffte sich der arabische Nationalismus durch die Anbindung an das „Dritte Reich“ wiederum die Unabhängigkeit. Der Großmufti von Jerusalem, einer der prominentesten arabischen Führer, war ab 1941 über Jahre Staatsgast Hitlers mit eigenem Haus und monatlicher üppiger finanzieller Unterstützung. Zumindest indirekt war er auch am Holocaust beteiligt.[5]

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Der UN-Teilungsplan von 1947

Nach dem Zweiten Weltkrieg kündigte Großbritannien an, das Mandat für Palästina nicht mehr wahrnehmen zu wollen – das Land war mit dem eigenen Wiederaufbau beschäftigt und sah sich nicht in der Lage, auch noch diese Region zu kontrollieren. 1947 beschloss daraufhin die UNO den sogenannten Teilungsplan, der auf dem Gebiet einen jüdischen sowie einen arabischen Staat vorsah. Die Grenzen sollten so gezogen werden, dass Umsiedlungen und Vertreibungen auf ein Kleinstmaß reduziert werden könnten. Die Folge waren zwei völlig unrealistische Territorialstaaten. Während die jüdische Vertretung den Plan anerkannte, lehnten die arabischen Führer ihn ab – einerseits aus generellen antizionistischen Überzeugungen, aber auch aufgrund der Qualität und Quantität des Landes, dass der jüdischen Minderheit der Region zugeteilt werden sollte.

Unmittelbar nach der einseitigen Ausrufung des Staates Israel griffen daher die Nachbarnationen Ägypten, Irak, Libanon, Transjordanien und Syrien an, wurden aber militärisch besiegt. In diese Zeit, in Israel „Unabhängigkeitskrieg“, von Arabern „Nakba“ (Katastrophe) genannt, fällt die massenhafte Migration palästinensischer Araber. Etwa 730.000 von ihnen flohen oder wurden vertrieben, viele zogen sich taktisch zurück unter dem Versprechen der kriegführenden Nationen, nach dem Sieg über Israel zurückkehren zu können. Dazu kam es nicht, Israel konsolidierte seine Grenzen, bis 1967 wurde Gaza ägyptisch, das Westjordanland jordanisch. Die palästinensischen Flüchtlinge kamen in grenznahe Flüchtlingslager, die oft bis heute bestehen – nicht aus der Verantwortung Israels heraus, sondern weil die aufnehmenden Länder kein Interesse an einer Besserung der Lage haben und hatten.

Die Lage im Nahen Osten lässt sich also zu großen Teilen auf einen europäischen Kolonialismus bzw. dessen Auflösung zurückführen. Insbesondere Großbritannien und Frankreich betrachteten den Landfleck Palästina als Verhandlungsmasse, die nach 1945 schnellstmöglich abgestoßen werden sollte. Für das nationalsozialistische Deutschland war er erst ein Ort, an den man möglichst viele Juden vertreiben konnte, später ein Faustpfand für den Kampf um die gesamte Region bis in den Irak hinein. Eine tragfähige Lösung für das so entstehende Machtvakuum fand man nicht und überließ das Land so dem Recht der stärkeren Macht.

[1] Volker Schult: Schulden, Schienen, Schulen. Osmanisches Reich und deutsche Weltpolitik, Berlin 2014, S. 55-56.

[2] Helmut Meijcher:  Die Bagdadbahn als Instrument deutschen wirtschaftlichen Einflusses im Osmanischen Reich, in: Geschichte und Gesellschaft 1 1975, S. 463.

[3] Helmut Nommel: Der Kommissar für die verpfändeten Einnahmen nach dem Londoner Protokoll vom 16. August 1924, Alsleben 1929.

[4] Zur arabischen Nationalbewegung in Genese, Unterstützung und inneren Konflikten allgemein lesenswert: Ulrich Haarmann: Geschichte der arabischen Welt, München 2001, S. 432-484.

[5] Jeffrey Herf: Arabischsprachige nationalsozialistische Propaganda während des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust, in: Geschichte und Gesellschaft 37 2011, S. 360.

31 Jahre alt, promoviert an der Universität Heidelberg.