Verhaltensanweisungen. Jolanthe Wolffs Flucht nach Großbritannien

Jolanthe Wolff (1911–1979), von Beruf Kontoristin, floh 1939 nach Großbritannien, wo sie sich eine Stelle als Hausangestellte suchen wollte. Um sich darauf vorzubereiten, besuchte die 27-Jährige eine Kochschule in Hamburg-Harburg. Im März erhielt sie ein Visum zur einmaligen Einreise nach Großbritannien. Im Visum wurde auch der Zwangsname „Sara“ eingetragen, ebenso in ihrem Reisepass.[1]

Mitnehmen durfte sie aufgrund des Devisengesetzes nur Devisen in Höhe von 10 Reichsmark. Am 14. März 1939 verließ Wolff den Hamburger Hafen, bei der Landung in Southampton am 17. März wurde ihr mitgeteilt, dass sie nur eine Anstellung in einem Privathaushalt annehmen dürfe, zudem müsse sie sich bei der Polizei registrieren lassen. Dazu wurde sie mit einem Merkblatt ausgestattet, dass mit „Sie sind Gaeste in Grossbritannien“ betitelt war. Es bezog sich ausdrücklich auf Geflüchtete und enthielt folgende Anweisungen:

„Herzlichkeit und gutes Betragen werden Ihnen ueberall herzliche Aufnahme und Sympathie zusichern.
Sprechen Sie nicht laut auf der Strasse, besonders nicht am Abend.
Nehmen Sie Ruecksicht auf die Bequemlichkeiten anderer Leute und vermeiden Sie, deren Eigentum und Moebel zu beschaedigen.
Vergessen Sie nie, dass England’s Urteil über die deutschen Fluechtlinge von IHREM Verhalten abhängt.
ACHTUNG
Deutschen Fluechtlingen wird dringend geraten, aeusserst vorsichtig in ihren Gespraechen zu sein.
In Ihrem eigenen Interesse empfehlen wir Ihnen dringend, keine Arbeitsangebote irgendwelcher Art anzunehmen, ohne vorher die Erlaubnis der englischen Regierung eingeholt zu haben.“

In Großbritannien fand Jolanthe Wolff eine Anstellung im Haushalt des Berliner Kondomfabrikanten Julius Fromm (1883–1945), dessen Firma im Jahr zuvor zu einem Spottpreis arisiert und an die Patentante Hermann Görings verkauft worden war.[2] Jolanthe verliebte sie sich in dessen Sohn Edgar (1919–1999), die beiden heirateten gegen den Willen Julius Fromms am Silvestertag 1942.[3] Aus der Ehe ging ein Sohn, Raymond hervor.

[1] Dok.263: Der Reisepass von Jolanthe Wolff mit Verhaltensanweisungen für deutsche Flüchtlinge in Großbritannien vom 10. Mai 1939, in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Band 2, Deutsches Reich 1938 – August 1939, München 2009, S. 712 ff.
[2] Beate Flemming: Die Geschichte der Fromms, Der Stern, 4. März 2007: https://www.stern.de/wirtschaft/news/kondome-die-geschichte-der-fromms-3355358.html, Zugriff 24. August 2015.
[3] Götz Aly/Michael Sontheimer: Fromms. Wie der jüdische Kondomfabrikant unter die Räuber fiel, Frankfurt a. M. 2007. Julius Fromm hielt die Verbindung für nicht standesgemäß, laut Aly und Sontheimer ein merkwürdiges Urteil: Jolanthe Wolffs Vater war Richter in Hamburg gewesen, die Mutter stammte aus der Familie Kurt Weills.

Historikerin, forscht u. a. zu Nationalismus und zur Dekolonisierung Afrikas

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