M.I.A.

„Die britisch-tamilische Rapperin, politische Dancefloor-Aktivistin und Fashionista M.I.A. holt auf ‚Matangi‘ zum Schlag gegen das Böse in der Welt aus – Die Weltrevolution muss kommen – aber stylish“, eröffnete eine Albumkritik zu M.I.A. auf derstandard.at im November 2013. Ähnlich extravagant liest sich die kurze biographische Notiz im zweiten Absatz: „Die aus Sri Lanka stammende tamilische Britin Maya Arulpragasam alias M.I.A. ist einer der ersten globalen Popstars im Alternative-Mainstream-Sektor, der politisches Bewusstsein souverän mit Twitterpolitik, Youtube-Rebellion und Dancefloor-Sloganeering verbindet.“[1] Die Süddeutsche spricht sogar von „Antiimperialistischer Straßenkämpfer-Attitüde, Ghetto-Überheblichkeit und Kunstanspruch“.[2]

Zum einen erscheint in solchen Albumkritiken das nicht weiter ungewöhnliche Bild einer internationalen Kunstfigur, eines Popstars – es unterscheidet sich wenig von anderen „kritischen“ MusikerInnen. Zum anderen wird dabei aber auch etwas Unangenehmes, Aggressives, ja, vielleicht sogar Tabuisiertes sichtbar. Allein die Erwähnung des ethnischen Hintergrundes – „die aus Sri Lanka stammende tamilische Britin“ – verweist auf eine Geschichte, die nicht ausgeführt wird. Denn wie viele erinnern sich noch an den Bürgerkrieg in Sri-Lanka von 1983-2009?

Das Interesse an M.I.A. gilt mittlerweile zuallererst der internationalen Künstlerin, der „Rapperin“, wenn Artikel ihre „derb zusammengeschusterten Beats“ kritisieren und loben. Die Geschichte ihrer Flucht spielt in den Albumkritiken keine Rolle, taucht eher am Rande auf obwohl sich die Künstlerin – jedenfalls im Rückblick – durchaus mit ihrer Fluchtgeschichte identifiziert.

„Seit wir aus Sri Lanka fliehen mussten, treibt mich die Sehnsucht nach einer neuen Heimat für meine Familie. Meine Verwandten sind über die ganze Welt verstreut. Überall habe ich Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen. Wir sehen uns oft, irgendwer heiratet immer oder feiert seinen 75. Geburtstag. Auf solchen Festen fühle ich mich daheim, denn Familie ist für mich wichtiger als Heimat. Ich würde lieber mit meiner Familie in ein Flüchtlingscamp ziehen, als auf Dauer allein in einem Palast in Los Angeles zu residieren.“ [3]

M.I.A., eigentlich Mathangi „Maya“ Arulpragasam, geboren am 18. Juli 1975 in London, zog mit sechs Monaten gemeinsam mit Ihren Eltern in deren Heimat Sri Lanka, wo sie die nächsten neun Jahre verbrachte. Ihr Vater war eines der Gründungsmitglieder der tamilischen Rebellenorganisation E.R.O.S., die einen unabhängigen Tamilenstaat forderte. Maya Arulpragasam sah ihren Vater (nach eigenen Angaben) so gut wie nie, trotzdem musste Ihre Mutter zusammen mit den Kindern zum Höhepunkt des Krieges fliehen, über Indien nach Großbritannien. 1987 erreichte die 12-jährige Mathangi Arulpragasam gemeinsam mit ihrer Familie London.[4]

„Am Anfang erzählte ich allen, ich sei aus Trinidad, damit ich nicht über Sri Lanka und den Krieg sprechen musste. Ich wollte nicht sagen, dass ich ein Flüchtling bin.“ [5]

Sie erinnerte sich weiter, dass sie sich wie eine geistig Zurückgebliebene behandelt fühlte, als ihr in einer Spezialeinrichtung Englisch beigebracht wurde. Sie lebte mit ihrer Mutter und den Geschwistern zuerst auf engstem Raum in Untermiete, später in sozialen Wohnbauten. [6] In dem Ausmaß, in dem sich die Lage der Flüchtlingsfamilie zu stabilisieren begann, begann M.I.A. ihre Erfahrungen als Flüchtling und Außenseiterin anzuerkennen.

Sie studierte am Londoner Saint Martins College of Arts Kunst und Film und war anschließend als Malerin tätig. Dabei stieß sie eher durch Zufall auf die Musik. 2005 erschien Ihr erstes Album, „Arular“, benannt nach dem „nom de guerre“ ihres Vaters.[7] Seitdem ging die Karriere von M.I.A. – ein Akronym für Missing in Action, das aber auch auf ihren Namen verweist – steil bergauf. 2004 gelangten ihre Songs in die Billboard Charts. 2009 wurde sie für Ihren O… Saya (für den Soundtrack von Slumdog Millionaire) für den Oscar nominiert und im selben Jahr auch für den Grammy.

Aus ihrer Geschichte machte M.I.A. inzwischen kein Geheimnis mehr, im  Gegenteil:

„And in an age where „immigrant“ is an insult rather than a description, she uses the word proudly to describe herself: a refugee who started from nothing and became internationally successful by the time she was 28.“ [8]

 M.I.A. gelang es, eine „negativ besetzte“ Erfahrung als Flüchtling durch aggressive, oft umstrittene und ebenso oft grenzwertige Aussagen[9] und Aktionen zu einer positiven künstlerischen Identität zu machen.


[1] Christian Schachinger, „Catwalk gegen böse Banken“ (28. November 2013) in derstandard.at, https://derstandard.at/1385168911891/Catwalk-gegen-boese-Banken.
[2] Annett Scheffel, „Ich gegen alle“ (4. November 2013) in sueddeutsche.de https://www.sueddeutsche.de/kultur/mias-neues-album-matangi-ich-gegen-alle-1.1809860.
[3] „Seit unserer Flucht sehne ich mich nach einer Heimat“ (30. Juni 2010) in zeit.de https://www.zeit.de/2010/27/Traum-M.I.A.
[4] Miranda Sawyer, „MIA: ‚I’m here for the people’“ (13. Juni 2010) in guardian.com, https://www.theguardian.com/music/2010/jun/13/mia-feature-miranda-sawyer.
[5] „Maya rennt“ (28. April 2005) in zeit.de, https://www.zeit.de/2005/18/M_I_A_.
[6] https://www.theguardian.com/music/2010/jun/13/mia-feature-miranda-sawyer.
[7] https://www.npr.org/2013/11/05/243083622/i-built-the-platform-myself-m-i-a-on-being-heard.
[8] https://www.theguardian.com/music/2010/jun/13/mia-feature-miranda-sawyer.
[9] Vgl. z.B. Lynn Hirschberg, „M.I.A.’s Agitprop Pop“ (25. Mai 2010) in nytimes.com: https://www.nytimes.com/2010/05/30/magazine/30mia-t.html?pagewanted=all&_r=0.

Externer Lektor an der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Mythen und Kollektive Identitäten im digitalen Spiel, Geschichte der politischen Kommunikation, europäische Integrationsgeschichte https://spielkult.hypotheses.org/

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