Ursachen von (Zwangs)Migration und Flucht. Eine kurze Einführung

Zwangsmigration und Flucht[1] sind ein historisches Phänomen, das es vermutlich gibt, seit Menschen sesshaft geworden sind.[2] Ein Beispiel aus der Antike ist die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung nach dem Bar-Kochba-Aufstand in der römischen Provinz Palästina 123–135 n. Chr.,[3] ein weiteres die Zwangsmigration von Menschen aus den unterworfenen Weltregionen qua Versklavung.

Mit der zunehmenden Ausbildung von Territorialstaatlichkeit in der Frühen Neuzeit entstand in Europa auch die Vorstellung, zu einem spezifischen Land gehöre eine spezifische Ethnie oder religiöse Gruppe. Erst mit dem Entstehen eines fest definierten Gebiets konnten dessen Grenzen auch überschritten, Menschen inkludiert oder ausgeschlossen werden.
So wurden beispielsweise mit dem Alhambra-Edikt[4] von 1492 alle Personen jüdischen Glaubens aus Kastilien und Aragon sowie 1497 auch aus Portugal ausgewiesen, wenn sie nicht bereit waren, den christlichen Glauben anzunehmen. Die sephardischen Juden mussten daraufhin in den gesamten Mittelmeerraum, aber auch nach West-, Mittel- und Osteuropa migrieren.[5]

Die Verfolgung der Protestanten in Frankreich im 16. und 17. Jahrhundert löste durch Gewalttaten, Re-Katholisierung und drohender Verhaftung trotz ausdrücklichem Migrationsverbot die nahezu vollständige Flucht der Hugenotten aus, die wegen des Edikts von Potsdam (1685) unter anderem in Brandenburg-Preußen sesshaft wurden.[6] Ein weiteres Beispiel wäre die Zwangsmigration von separatistischen Religionsbewegungen aus England in die USA, deren berühmtestes Beispiel wohl die „Pilgrim Fathers“ sind.

Zwangsmigration und Flucht können also viele Gründe haben, neben den genannten religiösen können dies auch politische, rassistische, antisemitische Verfolgung, Gewalt, Hunger oder territoriale Neuordnung sein. Die „Great Famine“ in Irland (1845–1852), ausgelöst durch die Kraut- und Knollenfäule des weit verbreiteten Grundnahrungsmittels Kartoffel, war ein wesentlicher Grund für die massenhafte Migration vornehmlich junger Irinnen und Iren nach Nordamerika, Australien sowie England und Schottland.[7] Auch aus Skandinavien, Italien und Deutschland migrierten im 19. Jahrhundert viele auf der Suche nach einer besseren Zukunft in die USA.

Häufig überschneiden sich die Gründe, dies ist gerade an der Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland gut zu beobachten, denn die antisemitische Verfolgung war oft gepaart mit wirtschaftlichem Abstieg: durch Berufsverbote, sog. „Arisierungsmaßnahmen“, Enteignungen, Fluchtsteuer und Maßnahmen, die es erschwerten oder sogar verhinderten, dass bestehendes Vermögen ins Ausland transferiert wurde.[8]

Die totalen Kriege des 20. Jahrhunderts, deren Kennzeichen es war, die Zivilbevölkerung in hohem Maße in die Kriegshandlung einzubeziehen, lösten bekanntermaßen große Flucht- und Zwangsmigrationsbewegungen aus. Neben den allseits bekannten in Europa galt dies auch für die territoriale Neuordnung im Zuge der Staatsgründung Indiens und Pakistans 1947. „Die Teilung führte zu Flucht und Vertreibung von Millionen und kostete fast eine Million Menschenleben.“[9]

Derzeit fliehen viele Menschen nach Europa, um ihr Leben zu retten. Sie fliehen vor Bürgerkriegen, Gewalt seitens des Staates oder terroristischer Gruppen, Hunger, Armut und völliger Perspektivlosigkeit. Flucht und Zwangsmigration sind keine Reisen, sie entstehen aus existenzieller Not und sind selbst bedrohlich. Mit der Flucht verlieren die Fliehenden alles, was sie je besessen haben, und auf der Flucht riskieren sie ihr Leben.

 

[1] Wir möchten hier nur einen knappen ersten Überblick geben, weitere spezifischere Beiträge werden folgen.
[2] Klaus Bade: Europa in Bewegung: Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2000, S. 11.
[3] https://www.hagalil.com/judentum/geschichte/bar-kochba.htm, Zugriff: 14. August 2015.
[4] Der Text findet sich in englischer Übersetzung hier: https://www.sephardicstudies.org/decree.html, Zugriff: 14. August 2015.
[5] httpss://de.wikipedia.org/wiki/Alhambra-Edikt, Zugriff: 14. August 2015.
[6] Winfried Schulze: Einführung in die neuere Geschichte, Stuttgart 42002, S. 213f; Susanne Lachenicht: Huguenot Immigrants and the Formation of National Identities, 1548–1787, in: The Historical Journal 50 (2007), S. 309–331.
[7] httpss://en.wikipedia.org/wiki/Great_Famine_(Ireland)#Emigration, Zugriff: 14. August 2015.
[8] Michael Wildt: Geschichte des Nationalsozialismus, Göttingen 2008, Kap. „Gemeinschaftsfremde“.
[9] Thomas Mergel: Großbritannien seit 1945, Göttingen 2005, S. 84.

Historikerin, forscht u. a. zu Nationalismus und zur Dekolonisierung Afrikas