Der 17-jährige Werner Angress flieht 1937 aus Deutschland

Werner Thomas Angress (1920–2010)[1] lebte seit Mai 1936 in Groß-Breesen, einer landwirtschaftlichen Ausbildungsstätte der Reichsvertretung der Juden in Deutschland. Im Oktober 1937 musste sein Vater Ernst Angress (1883–1943), Inhaber der Privatbank Königsberger und Lichtenhein, sein Geschäft aufgeben und brachte sein Vermögen nach Prag. Vermutlich war er durch die neuen Ausführungsbestimmungen des Devisengesetzes vom 16. September 1937[2] unter Handlungsdruck geraten.

Die Mutter Henny Angress (1892–1985) und seine jüngeren Brüder Fritz Peter (geb. 1923) und Hans Herbert (geb. 1928) waren bereits in London. Werner Angress floh Ende Oktober 1937 nach Amsterdam und weiter nach London, da er andernfalls in Geiselhaft genommen worden wäre. Der 17-Jährige wollte nicht fliehen, sondern in Groß-Breesen bleiben, wo er Freundschaften geknüpft und sich verliebt hatte:

„Viel ist mir Breesen, ja alles, auch wenn ich seinen Menschen räumlich getrennt bin. […] Unfreiwillig verließ ich Deutschland, unfreiwillig Groß-Breesen. […] Schwer war der Abschied, schwer und hart. Auch ich blieb hart, das erste Mal in meinem Leben. […] Breesen ist ja so stark in mir, daß es mir auch in der ferne noch Sinn gibt“.

Trotz der erzwungen Migration hegte Angress nach eigenen Worten „keinen Haß auf Deutschland“, im Gegenteil sprach er von „dessen Kraft, Schönheit und Stärke“. Sein Tagebuch wollte er künftig zur Selbstdisziplinierung nutzen, seine „Wünsche“, „Gedichte“, und „Gedanken“ darin notieren. Er schloss seinen Eintrag mit der Verweigerung, sich nationalsozialistischer Kategorisierung als nicht-deutsch zu entziehen:

„Gerade, ehrlich, treu, hart und Deutsch, allem und allem zum Trotz: Deutsch.“

Die Familie Angress zog 1938 zurück nach Amsterdam. 1939 wurde beschlossen, in die USA zu migrieren; die Umsiedlung sollte der 19-jährige Werner vorbereiten. In den USA arbeitet Angress zwei Jahre lang als Apfelpflücker und trat dann 1941 in die US-Army ein. Er war als sogenannter Ritchie Boy bei der Landung in der Normandie sowie an der Befreiung des KZ Wöbbelin beteiligt.

Sein Vater Ernst wurde 1941 in Amsterdam verhaftet und wegen Devisenvergehen verurteilt, er starb 1943 in Auschwitz. Seine Mutter Henny überlebte den Krieg in Amsterdam im Untergrund und zog 1947 nach Großbritannien, ihre beiden jüngeren Söhne migrierten im gleichen Jahr in die USA.

Nach dem Krieg studierte Angress Geschichte, promovierte und lehrte in Berkeley und New York. 1988 zog er wieder nach Berlin und engagierte sich unter anderem in Schulen sowie für die Gedenkstätte Wöbbelin.

[1] DOK.310: Der siebzehnjährige Werner Angress schildert am 20. November 1937 seine Flucht aus Deutschland, in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Bd.1: Deutsches Reich, 1933–1937, München 2008, S. 741 f. Alle Zitate ebd.
[2] Reichsgesetzblatt 1937 I, Bl. 1018 f., URL: https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1937&page=1124&size=45, Zugriff: 15. August 2015. U. a. wurden Migranten gezwungen, bis zum 20. Oktober 1937 ihre ausländischen Wertpapiere anzuzeigen, auch Grundstücksbesitz sowie Anteilseignerschaften wurden genehmigungspflichtig.

Historikerin, forscht u. a. zu Nationalismus und zur Dekolonisierung Afrikas

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